Interview mit Bienenexperte und Buchautor Jürgen Tautz

In seinem neuesten Buch «Honigbienen – geheimnisvolle Waldbewohner» gibt der Bienenexperte Prof. Dr. Jürgen Tautz zusammen mit dem Naturfotografen Ingo Arndt einen einzigartigen Einblick in die Welt der wilden Honigbienen. Statt im Bienenstock leben diese Honigbienen in Baumhöhlen und verbringen ihr Leben im Wald. Diese Wildhonigbienen sind recht widerstandsfähig. Im Vergleich zu bewirtschafteten Honigbienen, die in der Regel zusätzliche Fütterung erhalten und gegen verschiedene Schädlinge und Krankheiten behandelt werden, können die Wildhonigbienen aus eigener Kraft überleben. Prof. Dr. Tautz war so freundlich, uns einige Fragen zu beantworten, wie dieses Buch entstanden ist und welche Schlussfolgerungen die Imker daraus ziehen können.

Das Buch sieht wirklich schön aus. Wie ist die Idee zu der Entstehung dieses Buches entstanden?

«Es waren vier Motive, die uns zu diesem Buch veranlasst haben:

  1. Erstmaliges und lückenloses Beobachten und Dokumentieren des Bezuges und der Einrichtung einer Baumhöhle durch einen Bienenschwarm und die Entwicklung der Kolonie in ihrem ersten Jahr.

  2. Das Nachgehen der Frage, ob wir aus dieser Studie etwas für die praktische Imkerei ableiten können.

  3. Das Nachgehen der Frage, ob sich aus dem komplett neuen Blickwinkel auf die Honigbiene als ursprünglichem Waldinsekt für die Wissenschaft neue Betätigungsfelder ergeben.

  4. Von Beginn an das Ziel, möglichst viele Menschen an dem teilhaben zu lassen, was wir sehen und erleben durften. Gerade für die Teilhabe möglichst vieler Menschen an neuen Eindrücken und Einsichten haben wir uns für die Form eines Fotobildbandes entschieden. So entstand das Autoren-Team Ingo Arndt und Jürgen Tautz. Der Mensch nimmt die überwiegende Menge an Information visuell auf und der Blick in eine bisher verborgene Welt ist auf diese Weise direkt und unkompliziert. Man kann sich wie eine Biene unter Bienen fühlen.»

Das Cover von «Honigbienen – Geheimnisvolle Waldbewohner»
Das Cover von «Honigbienen – Geheimnisvolle Waldbewohner»

Wie war es, mit einem Naturfotografen wie Ingo Arndt zusammenzuarbeiten?

«In allen seinen Projekten hält Ingo Arndt Blicke auf die Natur fest, wie sie vorher so noch niemand fotografisch angegangen hat. Dabei ist es ihm entscheidend wichtig, Tiere bei ihrem ungestörten natürlichen Verhalten und in ihrer natürlichen Umgebung zu fotografieren. Da dies exakt auch dem Anspruch einer guten Verhaltensforschung entspricht, war eine sehr harmonische Zusammenarbeit vorgezeichnet.»

Woher kommt Ihr Interesse an den wilden Honigbienen?

«Die Natur der wahren Honigbiene enthüllt sich, wenn wir ihr dort begegnen, wo sie entstanden ist. Die Honigbiene ist ein Waldinsekt. Im Wald hat die Natur sie hervorgebracht, dort wurde sie an einen Lebensraum angepasst, der sich deutlich von der Kulturlandschaft unterscheidet, in der sie heute als Nutztier gehalten wird. Diese Einsicht ist nicht nur von wissenschaftlichem Interesse, sie kann entscheidend dazu beitragen, das Überleben der Honigbienen zu sichern. Der Zugang zu diesem Denken ist neu und das Buch „HONIGBIENEN – Geheimnisvolle Waldbewohner“ soll dazu beitragen, die Honigbienen als das zu sehen, was sie noch immer sind: Die Honigbiene ist bis heute Wildtier geblieben, trotz einer Bienenhaltung über mehr als 5000 Jahre hinweg und trotz Zuchtbemühungen durch den Menschen.

Als Wildtier existiert die Honigbiene zur großen Überraschung der allermeisten Menschen, auch der Imker, auch noch heute im Wald als dem Lebensraum, in dem sie im Laufe der Evolution entstanden ist. Ihre Eigenschaften und Fähigkeiten sind auf diesen Lebensraum ausgelegt und bis heute so erhalten. Versetzt man eine Bienenkolonie aus der künstlichen Beute eines Imkers in eine natürliche Baumhöhle, ist auf der Stelle ihr volles Repertoire an sinnvollen Verhaltenswiesen wieder da. Die Honigbienen haben auch nach Jahrtausenden Betreuung und Haltung in Menschenhand nichts „vergessen“. »

Einzug in eine Spechthöhle und Nestbau: Nach einigen Tagen der Bautätigkeit werden die ersten Waben zwischen den Bienenkörpern für den Beobachter sichtbar.
Einzug in eine Spechthöhle und Nestbau: Nach einigen Tagen der Bautätigkeit werden die ersten Waben zwischen den Bienenkörpern für den Beobachter sichtbar.

Was waren die spannendsten drei Erkenntnisse, die Sie über wilde Honigbienen gelernt haben?

«Die Beschränkung auf „drei“ führt mich sofort zu dem Hinweis, dass im Buch weitere sehr spannende neue Fakten und Deutungen bebildert vorgestellt werden.

Mir selbst wurde auch erst in den letzten Jahren durch mein wachsendes Interesse an den Fragen „Gibt es bei uns überhaupt noch wild lebende Honigbienen?“ und „wenn JA, wie leben sie?“ bewusst, wie riesengroß unsere Unkenntnis über die „wahre Honigbiene“ ist.

Als regelrechtes „Erkenntnispaket“ möchte ich als erstes die Tatsache bezeichnen, dass aus den letzten 300 Jahren, in denen die Honigbiene systematisch erforscht worden ist, mir keine einzige Studie zu Orientierung, Navigation oder Kommunikation bekannt ist, die im Lebensraum Wald durchgeführt worden wäre. Stattdessen immer auf möglichst freien Feldern, sehr praktisch für den Forscher. Da muss ich mich auch an die eigene Nase fassen…»

An Detailüberraschungen wäre zweitens zu nennen die Beobachtung, dass es beim Errichten der Waben keine „Bauketten“ gibt, wie sie der Imker an den Rähmchen in seinen Beuten beobachten kann. Dort sind sie wohl ein Artefakt bedingt durch die räumlichen Gegebenheiten. Zum dritten Punkt: Es ist Herrn Arndt gelungen im Bild festzuhalten, dass Sammelbienen, die Nachfolgebienen zu einer Futterstelle bringen wollen, im Flug zum Ziel ihre Nasanovdrüse geöffnet haben und so rekrutierten Nachfolgebienen den (auf jeden Fall letzten) Weg zum Ziel weisen. Das ist als Erkenntnis nicht neu und geht aus Karl von Frisch zurück, wurde aber so erstmals an fliegenden Sammelbienen dokumentiert.

Warum sind wilde Honigbienen widerstandsfähiger und besser in der Lage, mit Schädlingen und Krankheiten umzugehen als bewirtschaftete Honigbienen?

«Ein wichtiger Aspekt ist sicherlich die Tatsache, dass anders in unseren Imker-Beuten in einem Hohlen Baum ein „Mini-Ökosystem“ entsteht, in dem eine unglaubliche Vielzahl an Organismentypen mit den Honigbienen vergesellschaftet sind. Bakterien, Pilze, andere Arten an Insekten und auch der Bücherskorpion, den früherer Imkergenerationen als Feind der Tracheenmilbe in ihren Bienenstöcken sehr geschätzt haben.

Honigbienen gehören als wichtige Glieder im Naturgefüge in den Lebensraum Wald. Um sie dort wieder ansiedeln zu können, wo natürliche Nistmöglichkeiten fehlen, sind künstliche möglichst naturnahe Behausungen notwendig. Wie solche Behausungen angelegt sein sollten, lernen wir durch das Studium wildlebender Honigbienen. Gesunde Bestände an wildlebender Honigbienen sind aber nicht nur aus natur- und umweltschützerischen Gedanken wichtig. Sie können auch für die praktische Imkerei sehr bedeutsam werden.

An wildlebende Honigbienenpopulationen kann die natürliche Selektion angreifen, der einzige Vorgang, der es schafft, das Erbgut an jeweilige auch wechselnde Umweltbedingungen anzupassen. Im Wald können auf diese Weise natürliche Vorgänge ablaufen, die am Nutztier Honigbiene so nicht stattfinden. Diese Populationen an wildlebenden Honigbienen können die genetische Reserve bilden, für einen Einsatz in der Imkerei.»

Was können die Imker von wilden Honigbienen lernen?

«Der Baum in dem sich ein Bienenvolk niedergelassen hat, bietet einen unglaublich wirkungsvollen Puffer gegenüber den Schwankungen der Witterung, was es den Bienen sehr erleichtert, das ihnen zuträgliche Klima im Nest aufrecht zu erhalten. Je freier die Waben des Brutnestes von den Bienen angelegt werden können, desto leichter können die Bienen die Verhaltensweisen entfalten, die ihnen die Natur für diesen Kernbereich ihres Volkes mitgegeben hat.»

Können sich wilde und bewirtschaftete Bienenvölker gegenseitig beeinflussen? Und falls ja, wie?

«Die Honigbiene ist ein Wildtier geblieben, sie hat nichts von dem vergessen, was in vielen Millionen Jahren der Evolution an Eigenschaften und Fähigkeiten entstanden ist. Ein und dasselbe Bienenvolk lässt sich bewirtschaften, ist aber auch in der Lage ohne menschliche Obhut im Wald zu leben. Unbetreut heißt aber auch, dass es keinerlei Behandlungsmaßnahmen gegen Krankheiten und Parasiten gibt. Eine Übertragung von Krankheiten und Parasiten ist in beiden Richtungen prinzipiell möglich. Ob, wie häufig und ich welche Richtung das geschieht und wer dadurch Nachteile/ Vorteile haben könnte, bleibt zu erforschen.»

Vielen Dank für Ihre interessanten Einblicke, Sie öffnen uns sicherlich die Augen für die Welt der wilden Honigbienen und wir freuen uns darauf, dieses Buch bald anschauen zu können.

Interessiert? Hier kannst du das Buch bestellen

Interview mit Bienenexperte und Buchautor Jürgen Tautz
Vatorex AG, Pascal Brunner 14 Februar, 2020
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